"Abenteuer beginnen im Kopf, werden in der Welt lebendig und enden in Geschichten daheim." – Marlene Rybka

Desperate Housewife

Bevor wir unsere gemeinsame Reise durch das Land starten, lasst uns gern erst einmal die Grundsatzfrage klären, die mir viele anfangs gestellt haben: „Was machst Du (oder allgemein ein Expat-Partner) eigentlich den ganzen Tag lang? Ist das nicht total langweilig?“

Mein Antwort? „I’m a Desperate Housewife“ 😜und OMG 😱 glaubt mir, es gibt Tage, da wünsche ich mir nichts sehnlicher als lange Weile zu haben. 🙈

Mein Ehemann und ich arbeiten beide in einem großen Unternehmen, aber ich bin zurzeit freigestellt. Bis zu meiner Freistellung habe ich 26 Jahre in Vollzeit (!) gearbeitet. Jahrelang habe ich sehr viele Überstunden geleistet. Da ich meinen Job von ganzem Herzen geliebt und mit Leidenschaft ausgeübt habe, war meine Arbeit mein Lebensmittelpunkt. Meinen Job zu pausieren, um eine Weile „nix“ zu tun, war anfangs ziemlich beängstigend und einer der Gründe, eher gegen dieses Abenteuer zu stimmen. Zumal 3 Jahre oder länger „raus“ zu sein auch im Nachgang einige Schwierigkeiten mich sich bringen wird. Die Systeme entwickeln sich weiter, das Unternehmen verändert sich (genau wie man sich auch selbst verändert) und auch einige Kollegen werden vielleicht nicht mehr da sein wenn man zurück kehrt. Am Ende fängt man womöglich irgendwo ganz neu an. Und alles, was neu ist, macht einem im ersten Moment Angst. So geht es mir zumindest immer.

Abgesehen davon, sind die meisten Frauen heutzutage auch eher finanziell unabhängig. Wer mich persönlich gut kennt, der weiß, dass ich meine Unabhängigkeit eigentlich auch sehr schätze.

Als junger Mensch wird man ja oft gefragt, was das persönliche Ziel im Leben ist. Was möchte man werden, wenn man „groß“ ist? Meine Antwort war immer klar: ich möchte genug Geld verdienen um mir meinen Luxus selbst leisten zu können. Nun ja, ich war ehrgeizig und diszipliniert genug, um mein Ziel zu erreichen. 🙏

Daher könnt ihr sicher nachvollziehen, dass ich anfangs im „struggle“ mit mir selbst war, ob das gut gehen würde: mein eigenes Leben auf „on-hold“ zu setzen, für die Träume eines anderen. In diesem Fall ist der „Andere“ aber mein Ehemann und ich bin überzeugt, dass man sich in einer Beziehung immer gegenseitig unterstützen, nach vorne bringen und sich nicht im Wege stehen sollte. Wenn der Partner einen Traum hat, dann ist es das Schönste der Welt, wenn der Andere das Verständnis aufbringt und diesen Traum unterstützt. Ich würde mir das gleiche auch von meinem Partner wünschen. 🫶

Wenn man sich dann auch mal mit den ganzen Möglichkeiten und Optionen auseinandersetzt, die einem als Expat-Partner geboten werden, wird einem schnell bewusst, dass sich im Leben hier eine Chance bietet, der man nur schwer widerstehen kann.

Was ist das wichtigste Gut im Leben neben der Gesundheit? Es ist die ZEIT!

Und bei dieser Gelegenheit bekommt man nun genau das geschenkt – nämlich Zeit: für sich, Zeit um sich selbst zu verwirklichen oder zu tun und zu lassen was auch immer man möchte! Es fühlt sich ein bisschen an, als wäre man wieder 18 Jahre alt und am Anfang seiner Zukunft, in der einem noch die Welt offen liegt und alles wieder möglich ist.

Von Studium, Ausbildung oder Weiterbildung bis zu sich komplett neu erfinden zu können, wenn man das persönlich möchte: alles ist möglich. Es gibt hierfür Partner-Support-Programme, die einem helfen, diese Ziele umzusetzen und sogar finanziell zu unterstützen.

Oder man tut einfach mal eine Weile lang nichts besonderes und kommt endlich mal dazu, im Leben Dinge auszuprobieren, zu denen man im Berufsalltag aufgrund von Mangel an Zeit nie kommen würde. Ich persönlich habe mich zum Beispiel als „Köchin“ ausprobiert und kehre mit einer ganzen Reihe neuer leckerer Rezepte nach Hause.🍽️👩‍🍳 Bei einem Parfum-Workshop habe ich meiner Kreativität freien Lauf gelassen und zum Beispiel einen eigenen Duft für mich und meinen Mann kreiert. 😍 Jeder kann hier seine eigene Bestimmung finden.

Mal Hand aufs Herz: wie oft bekommt man die Chance im Leben nicht arbeiten zu müssen und trotzdem den selben finanziellen Spielraum zu besitzen? Wenn das kein Geschenk ist, welches sich anzunehmen lohnt, dann weiß ich ehrlich gesagt auch nicht. 🎉

Ich habe hier eine ganze Reihe unterschiedlicher Frauen kennengelernt. Frauen, die bewundernswertes geleistet und das Beste aus dieser Gelegenheit gemacht haben. Frauen, die täglich darüber jammern, dass in China alles „anders“ ist als zuhause. Frauen, die sich selbst neu verwirklicht haben und über ihre Grenzen hinausgewachsen sind (wie zum Beispiel eine inzwischen gute Freundin von mir, die trotz aller Hürden und Herausforderungen einfach mal eine Bäckerei und Café, „Noah’s Bakery“, in Hefei eröffnet hat). Und dann gibt es natürlich die Sorten von Frauen, die diese Zeit hier nutzen um Klatsch und Tratsch zu verbreiten.

Ich wette Gossip Girl war auch eine Expat-Ehefrau. 😂

Ich persönlich bin hier unser Familien-CEO. 😜Und welch Glück für meinen Ehemann, dass er eine erfahrene Berufssekretärin und Assistentin geheiratet hat. Ich habe daher einfach die Firma gewechselt und arbeite nun Vollzeit für meinen Ehemann. Von daher habe ich eigentlich nicht das Gefühl „nicht“ zu arbeiten.

Dazu kommt, dass es für alle Expats nicht leicht ist, sich in einem fremdem Land, einer fremden Kultur und einer neuen Umgebung zurecht zu finden. In China wird das durch die enorme Sprachbarriere zusätzlich erschwert.

Ich glaube, das erste halbe Jahr war ich damit beschäftigt, mich irgendwie in diesem Land zurecht zu finden. Angefangen damit, dass man sich hier meistens in einer virtuellen Welt bewegt. Sprich, der Alltag findet weitestgehend online per App statt. Da alle Apps auf Chinesisch sind, muss man hier mit Übersetzungs-Apps arbeiten, deren Bedienung allerdings – welch Überraschung – nur auf Chinesisch läuft. Wie hier zum Beispiel.

Des Weiteren sind die westlichen Produkte selten in lokalen Supermärkten erhältlich, da sie entweder nicht angeboten werden oder aber sehr teuer sind. Es macht durchaus Sinn, diese online oder über sogenannte Miniprogramme zu erwerben.

Heutzutage sind einige Miniprogramme auch mit englischer Sprache hinterlegt, sodass man sich da gut zurecht findet. 2022 war wirklich alles ausschließlich in Chinesisch. Einige sind auch heute weiterhin nur in chinesischer Sprache zu bedienen. Nach über 2 Jahren Übung bin ich inzwischen schon Profi darin, aber das erste halbe bis dreiviertel Jahr habe ich viele Stunden und Schweißperlen daran verschwendet.

Das ganze System hier in China funktioniert etwas anders als in Deutschland oder Europa. Die meisten Menschen bestellen ihre Lebensmittel oder fast jegliche Produkte online und lassen sich diese per Boten nach hause liefern. Taxis bestellt man über Didi-App (ähnlich wie Uber, nur deutlich günstiger).

In China wird der internationale Führerschein leider nicht anerkannt. Somit hat man die Wahl entweder den chinesischen Führerschein zu machen, oder auf öffentliche Verkehrsmittel bzw. Didi zurückzugreifen. Beides ist sehr preiswert und einfach zu nutzen. Oder man wählt für sich die Option mit dem E-Roller durch die Stadt zu fahren, denn in Hefei ist das System dafür wunderbar ausgelegt. Zudem macht es auch wirklich großen Spaß. Überall stehen E-Roller, die man über diverse Apps ausleihen kann und genau so günstig sind wie Didi fahren.

Man hat hier sogar die Möglichkeit, wenn man mit dem Auto irgendwohin gefahren ist und man doch Alkohol trinken möchte (hier herrscht striktes 0,0 Promille), einen Didi-Fahrer zu bestellen. Dieser kommt mit einem klappbaren E-Roller zum Abholort, um dich und das Auto nach Hause zu fahren, um dann mit seinem E-Roller wieder davon zu düsen. Einfach Weltklasse. 🤷‍♀️😍

Wo findet man einen Schuster, eine Schneiderei, welcher Friseur ist wirklich vertrauenswürdig, welche Ärzte oder Krankenhäuser wählt man für sich? Wo findet man seine gewohnten heimischen Produkte, um das Gefühl von „Heimat“ nicht zu verlieren?

Es gibt so viele alltägliche Dinge, die ich erst nach über 2 Jahren hier neu entdecke. Ich lerne immer noch täglich dazu. Allein damit ist man hier gut beschäftigt.

Seit dem Ende der Corona Pandemie reisen wir zudem sehr viel und versuchen so viele asiatischen Länder zu erkunden, wie es uns möglich ist. Diese Reisen planen sich auch nicht von selbst. Ein Reisebüro zu beauftragen würde den finanziellen Rahmen sprengen, daher verbringe ich viel Zeit damit, unsere tollen Reisen selbst zu planen und organisieren. Wir haben schon einige wunderschöne Orte bereist und erkunden dürfen, über die ich in einem anderen Beitrag noch berichten werde.

Auch habe ich mir meine Zeit genommen, um uns hier erstmal einzuleben und anzukommen. Eine Sache, die ich jedem ans Herz legen würde, der solch ein Abenteuer vielleicht noch vor sich hat oder darüber nachdenkt, es zu tun.

Als dann die erste Eingewöhnungsphase durchgestanden war, entschied ich mich, mit einem Englisch-Kurs zu starten. Mein Englisch war zwar schon ganz gut, aber inzwischen ist mein Sprach-Level auf einem ganz anderen Niveau. Man ist hier sehr international aufgestellt und die im Alltag hauptsächlich genutzte Sprache ist Englisch. Inzwischen bin ich aber auf Business-Englisch umgestiegen, um mich auf meine Rückkehr in den Berufsalltag vorzubereiten.

Zwischendurch hatte ich auch mit Spanisch angefangen. Da ich mich seit kurzem aber entschieden habe Chinesisch zu lernen und diese Sprache einem Mysterium gleicht (nach jeder Unterrichtsstunde brennt mein Gehirn🤯🙈🥴) , muss mein Spanisch-Vorhaben warten bis ich wieder in Deutschland lebe. Denn eine weitere tolle Sache von dem PSP-Programm ist, dass man das noch vorhandene Restbudget sogar bis zu 1 Jahr nach Rückkehr in Deutschland nutzen darf. Eine wirklich klasse Sache, die einem da geboten wird.

Eine weitere Beschäftigung von mir ist die Erstellung meines eigenen Blogs und meiner Website. Da ich vorher noch nie etwas damit zu tun hatte, hat mich auch dieses Projekt Zeit und Energie gekostet. Ein Projekt, auf das ich sehr stolz bin und an dem ich mit Freude arbeiten werde. Vielleicht kann ich andere Menschen dadurch inspirieren, neue Wege zu gehen – oder sie haben einfach Spaß daran, diese Reise mit mir zu erleben.

Wie ihr sehen könnt, werden einem zahlreiche Möglichkeiten geboten, wie man hier seine Zeit sinnvoll nutzen kann. Das Einzige, das einem hier nicht geboten wird, ist Zeit mit dem Partner. Denn der Partner ist hier, um zu arbeiten.

Durch diese Erfahrung hier merkt man aber, dass die Qualität wesentlich wichtiger ist als die Quantität. Man muss nur das Beste aus der vorhandenen Zeit machen.

Wir haben für uns einen sehr guten Weg gefunden. Da Sport für mich und für meinen Mann sehr wichtig und zudem ein wichtiger Ausgleich zum langen Arbeitstag ist, machen wir das nun gemeinsam: Abends nach der Arbeit. Wir essen jeden Abend gemeinsam und verbringen den restlichen Abend je nach Lust und Laune. Für uns ist ganz wichtig eine gesunde Balance aus Social-Life und Zweisamkeit zu halten und auch nur die Dinge zu tun, auf die wir wirklich Lust haben.

Ein sehr guter Freund hat vor dem Abenteuer zu uns gesagt: „Ihr werdet lernen müssen, mit allen Schwierigkeiten allein zurecht zu kommen, denn ihr habt da drüben nur euch beide.“ Er hatte Recht. Für die Beziehung ist diese Auslanderfahrung aber auch eine große persönliche Chance: man kann sich eine Weile lang komplett ohne Außeneinwirkungen, die man im normalen Alltag zuhause automatisch und oft auch ungewollt hat, auf sich selbst fokussieren.

Ein weitere Punkt, der mir sehr wichtig ist und in den ich auch viel Zeit investiere, sind die Verbindungen und Freundschaften zuhause in Deutschland zu pflegen, trotz des erheblichen Zeitunterschieds.

Es gibt ein Zitat: So was wie „zu weit weg“ gibt es bei Freundschaften nicht. Was zählt, ist nicht wie nah man sich in Kilometern, sondern wie nah man sich im Herzen ist.

Jeden Montag telefoniere ich stundenlang mit meiner besten Freundin. Das ist unser „weekly call“, der auch nur aus triftigen Gründen abgesagt wird. Wir skypen sehr regelmäßig mit unsere Eltern und ich halte durchgehend Kontakt zu allen meinen Freundinnen zuhause. Ich bin so oft so gerührt wenn ich sehe, wie auch der Großteil meiner Freundinnen mich trotz der Entfernung in ihr Leben mit einbeziehen, dass sogar deren Kinder trotz der Entfernung noch den Kontakt mit mir halten und mir erzählen, was in ihrem Leben so passiert.

Einer der besten Freunde meines Mannes hat mir erzählt, dass sich die Qualität ihrer gemeinsamen Gespräche verändert hätte. Sie wären jetzt deutlich tiefgründiger geworden. Nun ja, wenn man weiß, dass die Zeit, die man gemeinsam hat, begrenzt ist, nutzt man diese eben intensiver. Ich persönlich empfinde das als schöne Erkenntnis. 🫶

Ich bin überzeugt davon, dass wahre Freundschaften diese Distanz überstehen. Denn am Ende ist alles im Leben immer das, was Du selbst daraus machst… 💖