Und nein… es geht nicht um Wandpilates, Intervallfasten oder andere Programme, bei denen man auf die Probe gestellt wird, ob man durchhalten wird oder mittendrin einfach für sich entscheidet, dass es doch nicht so das Richtige für einen ist.
Wir waren „eingesperrt“. In einem Hotel irgendwo mitten in China, in Qingdao. Falls ich das noch nicht erwähnt hatte: ich war vorher noch nie in China. Daher, herzlichen Dank für den angenehmen Empfang. 🫡🙃😲
Ihr fragt euch sicherlich, wie wir diese Zeit überstanden haben. Wie vergehen 40.320 Minuten ohne frische Luft, ohne Tageslicht und ohne Freiheit?
Die Herausforderung daran war tatsächlich, den gemeinsamen Alltag so gut es geht zu organisieren. Leichter gesagt als getan. Denn für jemanden, der noch nie eingesperrt war oder der freien Entscheidungsmöglichkeit beraubt wurde, war es nicht einfach damit klar zu kommen, dass die Situation ist, wie sie ist und sich nicht ändern lässt.
Im Vorfeld haben wir zwar in der Theorie gewusst, dass es so sein wird, aber zwischen etwas wissen bzw. erahnen und dann zu erleben liegen Welten.
Die ersten Tage haben wir damit verbracht, uns gegenseitig zu bemitleiden. Wir haben viel geschlafen, Serien geschaut und uns eigentlich gedanklich schon mit der umgehenden Rückreise nach Deutschland befasst. Unter diesen Umständen konnten wir uns auf keinen Fall vorstellen, auch nur einen Tag länger in diesem Land verbringen zu wollen.
Mein Mann musste dann ab Tag 4 seine neue Stelle antreten. Natürlich im Home Office, ohne Kopfhörer oder vollausgestattetes Equipment. Somit kam dann noch die nächste Herausforderung, dass Stille um ihn herum herrschen musste, damit er seine Meetings wahrnehmen und in Ruhe arbeiten konnte.
Rückblickend glaube ich, dass das der Zeitpunkt bei mir war, wo in meinem Kopf eine gedankliche Veränderung stattgefunden hat und für mich fest stand: Trübsal blasen ist nicht, denn das bringt uns nicht weiter. Wenn wir nicht in Depressionen verfallen wollen, müssen wir das anders angehen.
Also tat ich, was ich wirklich am besten kann: unser Leben planen & organisieren!
Unsere Fenster ließen sich leider nur 10 cm öffnen, da wir in der 27. Etage waren. Das Hotelmanagement wollte wahrscheinlich verhindern, dass sich Menschen vor lauter Verzweiflung aus dem Fenster werfen. 🙈 Somit war frische Luft Luxusware. 😏 Zudem kam noch dazu, dass es ab Mai in fast ganz China anfängt wirklich heiß zu werden und wir in allen Räumen breite Fensterfronten hatten. Um zu verhindern, dass sich die Viren im Hotel über die Lüftung verteilen, hatte das Hotel die Klimaanlage abgeschaltet. Also, den ganzen Tag Sonne, Hitze und keine frische Luft… aber wenigstens bei toller Aussicht. 🥵🤯


Zwei Mal (!) am Tag kamen die Minions, um einen Pflicht-PCR-Test durchzuführen. Anschließend wurde das Ergebnis über eine Health-App der Regierung zugeschickt. Leider konnte man zwischenzeitlich im Expat-Gruppenchat mehrfach lesen, dass Expats oder Familienangehörige, die positiv getestet wurden, ohne Chance auf Gegenwehr abgeholt und in ein zentrales Krankenhaus abgeführt wurden. Ihr könnt euch sicherlich vorstellen, was das mit der Psyche von einem Menschen macht, wenn man jeden Tag innerlich bangt, „bitte bloß nicht“ positiv zu sein. Wie oft mir Tränen liefen, aus Angst, unsere Tests zeigen ein positives Ergebnis an und die Minions holen mich oder mein Mann ab.
Das Eine ist, eine Sache gemeinsam mit meinem Mann durchzustehen, aber alleine? In einem fremden Land, wo kaum ein Mensch Englisch spricht und man nicht einmal die Gesetzeslage kennt? Zu dem Zeitpunkt war ich auch bei weitem nicht so gefestigt und vertraut mit China, wie ich es inzwischen geworden bin. Heute bringt mich hier nicht mehr so schnell irgendetwas aus der Fassung. Aber damals sah das definitiv anders aus. Allein mit dieser Angst zu leben, war für mich eine Herausforderung, die nur schwer zu bewältigen war.
Also was tut man am Besten, um seinen Körper und Geist fit zu halten? Gesunde Ernährung ✓, Sport ✓ und Routine ✓.
Mein Mann erstellte einen intensiven Sportplan und ich einen geregelten Tagesablauf. Wir teilten das Apartment in mehrere „Räume“ ein und hatten somit ein Büro, ein Esszimmer, Schlafzimmer und ein Sportzimmer. Je nach Uhrzeit bzw. Aktivität hielten wir uns immer in den jeweiligen Bereichen auf, damit wir das Gefühl hatten, nicht den ganzen Tag am selben Ort zu sein.

Unser Gym 💪
Wir frühstückten jeden Morgen gemeinsam. Dann startete mein Mann mit seiner Arbeit, während ich im anderen Bereich der Wohnung mit Hausarbeiten oder eigenen Doings beschäftigt war. Zu meinen Aktivitäten gehörten zum Beispiel Buch lesen über die chinesische Kultur, Arbeiten am Computer oder Wäsche waschen (ganz altmodisch mit der Hand 🤣, da wir natürlich keine Waschmaschine hatten). Die Mittagszeit verbrachten wir gemeinsam. Anschließend war es Tradition, ein paar Minuten lang durch die Wohnung zu spazieren und ans Fenster zu gehen, um frische Luft zu schnappen. Das war dann für uns ein kleiner „Spaziergang“ an der frischen Luft. Ab und zu haben wir unsere Arme rausgehalten und den Wind gespürt, was wirklich ein schönes Gefühl war. Wahnsinn, wie man plötzlich anfängt die kleinsten Sachen wertzuschätzen, die einem so belanglos und völlig selbstverständlich im Leben vorkommen.
Nach der Mittagspause ging ich wieder in den hinteren Teil der Wohnung, um mit meinem Yoga- oder Meditationstraining zu starten oder mit meinen Freundinnen in Deutschland zu telefonieren. Nachdem mein Mann Feierabend hatte, hatten wir die Abmachung, dass alle Arbeitsunterlagen weggelegt werden, um das Gefühl von „Trennung zwischen Arbeit und Privat“ zu bekommen. Anschließen startete unser Sportprogramm.
Gegen 19 Uhr wurde meistens das Abendessen vor die Tür gestellt. Als Belohnung dafür, dass wir wieder einen Tag überstanden haben ohne zu verzweifeln oder uns gegenseitig aus dem 27. Stockwerk zu werfen😂, gab es immer ein Glas Bier oder Wein und wir haben uns einen schönen Abend gemacht.

Oft haben wir abends mit unserem befreundeten Pärchen von Zimmer zu Zimmer telefoniert. Wir haben uns gegenseitig abgelenkt, Mut zugesprochen und virtuell gemeinsam Zeit verbracht. Meine Freundin und ich haben auch manchmal gemeinsam geweint, wenn uns mal die Decke auf dem Kopf fiel oder wir das Gefühl hatten zu ersticken. Denn auch diese Emotionen gehörten dazu.
Ich muss aber dazu sagen, dass im Leben eine gute Vorbereitung immer die halbe Miete ist. Nach dieser Erfahrung weiß mein Mann auch zu schätzen, dass ich immer für ein mögliches Armageddon vorbereitet bin.
Wir – wobei sorry nein, ich (!) habe uns bereits im Vorfeld für diese 4 Wochen aufgerüstet und habe jegliche Kommentare meines Mannes, ob wir dies oder das wirklich brauchen würden, völlig ignoriert. Denn ja (!), wir haben alles davon gebraucht und wir hatten Dank dieser Vorbereitung das Gefühl, uns würde es an nichts fehlen.
Zu unserem Proviant gehörten unter anderem:
- eine kleine Filterkaffeemaschine für deutschen Kaffee, denn ohne Kaffee ist ein guter Start in den Tag undenkbar ☕
- Brot, Margarine, Aufschnitt, Marmelade und natürlich Nutella! – zumindest war das der Plan, denn leider wurde uns das Nutella am Flughafen abgenommen, da wir das versehentlich im Handgepäck hatten. 😂Irgendwas musste ja in der ganzen Aufregung schief gehen 🥴
- Gewürze, Olivenöl und andere haltbare Lebensmittel wie Hafermilch oder Müsli
- natürlich hatten wir auch ausreichend Schokolade, Nüsse und Chips dabei – ohne Nervennahrung keine Chance durchzuhalten
- Handtücher, Putzmittel, Besteck, Schere, Flaschenöffner… einfach alles was in einem westlichen Haushalt benötigt wird und wir unsicher waren, ob die Hotels in China damit ausgestattet waren








Während der Quarantäne kam natürlich kein Servicepersonal, um die Handtücher und Bettwäsche zu wechseln oder gar um das Apartment zu reinigen. 4 Wochen ohne Reinigung?? Ganz ehrlich – eingesperrt zu sein war eine Sache, aber eingesperrt in einer dreckigen Wohnung zu sein, war inakzeptabel. Ich brauchte eine Lösung. Nach 5 Tagen kam mir dann die Idee, das Hotelpersonal zu fragen, ob sie mir sämtliche Reinigungsutensilien vor die Tür stellen würden, damit ich das selbst erledigen kann. Ich hatte ja eigentlich eher mit einer Absage gerechnet. Umso erstaunter war ich zu lesen, dass sie mir wirklich alles, wonach ich gefragt hatte, vor die Tür stellen würden.
WOW, dachte ich. Manchmal hilft es einfach nur nett zu fragen. Aber auch so möchte ich mich nicht über die Hilfsbereitschaft des Hotelpersonals beschweren, denn sie waren wirklich sehr bemüht. 😍
Eigentlich möchte ich mich allgemein nicht wirklich über die Quarantäne beklagen. Ich meine: ja, es war eine herausfordernde Erfahrung. Aber wir hatten eine Suite in einem 5-Sterne Hotel, drei Mahlzeiten am Tag und noch viel wichtiger: dem haben wir uns mehr oder weniger „freiwillig“ ausgesetzt.
Es gab sehr viele Menschen auf dieser Welt, unter anderem auch in China selbst, die wirklich schlechter dran waren als wir. Denn die Pandemie hatte die gesamte Welt überrollt.
Diese Erfahrung in unserem Leben hat uns auch ein paar sehr wertvolle Lektionen gelehrt: wir haben gelernt, unter schwierigen Lebensbedingungen als Team zusammenzuarbeiten und sind so zusammengewachsen, wie wir das unter „normalen“ Umständen wahrscheinlich nie geschafft hätten. Ich meine, mal Hand aufs Herz, wie viele Paare schaffen es, 28 Tage eingesperrt zu sein, ohne sich gegenseitig umbringen zu wollen? 🙃 Wir haben es geschafft! Und wir haben diese besondere Zeit für uns als Paar genutzt und sind gestärkt aus dieser Lebenserfahrung rausgegangen. Also, ich bin darauf extrem stolz! Auch wenn wir diese Erfahrung sicher kein zweites Mal erleben müssten. Für uns ist nun klar: wir schaffen gemeinsam einfach alles!
Am 29. Mai hieß es dann endlich: wir sind frei und dürfen raus! 🍾🥳🥳🥳 Wir hatten uns natürlich bereits mit unserem befreundeten Pärchen verabredet. Unten in der Lobby war dann endlich das große Wiedersehen! Voller Vorfreude und großer Aufregung sind wir uns in die Arme gefallen.
Nun durften wir China begrüßen, und zwar nicht nur durch eine Fensterscheibe ohne frische Luft. Nein! Das echte China. Unser Abenteuer beginnt. Mit allen Höhen und Tiefen, die ein fremdes Land, unterschiedliche Kultur und eine fremde Sprache mit sich bringt.





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